Symposium 2021: Ausnahmezustand Bericht zum Online-Symposium: »Ausnahmezustand«

Ausnahmezustand - Wie relevant ist Design in Krisensituationen?

Eine Pandemie hat die Gesellschaft weltweit fest im Griff. Noch vor einem Jahr ging alles den gewohnten Gang: die Fahrt zu Arbeit, FreundInnen im Cafe treffen, oder noch schnell den Sommerurlaub buchen…

...und plötzlich - nur wenige Wochen später - der große Kollaps. Niemand hat zu diesem Zeitpunkt auch nur eine Ahnung wie abrupt sich alles ändern kann. Die “Coronakrise” ist das Hauptthema in allen Nachrichten. Das tägliche Überprüfen diverser Liveblogs ist für viele Menschen zur Routine geworden. Darüber rücken andere Brennpunkte allerdings in den Hintergrund und entwickeln sich hin zu einem Point Of No Return, an dem etwas getan werden muss, bevor es zu spät ist.

Hier setzt das virtuelle Symposium der Folkwang Universität der Künste, mit dem Titel ,,Ausnahmezustand - Wie relevant ist Design in Krisensituationen?’’ an, um über die Zukunft unserer Gesellschaft sprechen. Das Symposium wurde von den Masterstudierenden des Studiengang Industrial Design, unter Leitung von Frau Prof. Marion Digel und Frau Prof. Anke Bernotat, organisiert und moderiert von Steffen Kauenhoven und Celina Kroder.

Die Gäste des Symposiums sprechen die Missstände in Gesellschaften offen an, setzen sich aktiv für die Bewältigung verschiedener Krisen ein und schaffen Achtsamkeit indem sie eben diese in den gesellschaftlichen Diskurs bringen. Sie sind ExpertInnen auf ihrem Gebiet und beschäftigen sich u.a. im wissenschaftlichen Rahmen mit den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Der erste Teil der Veranstaltung nähert sich dem Thema Krisenforschung auf einer wissenschaftlichen Ebene und schafft durch die Betrachtung von Ursachen, Auswirkungen aber auch Chancen eine Grundlage für eine spezifische, lösungsorientierte Diskussion.

Der zweite Teil unserer Veranstaltung stellt diese und praktische Lösungsansätze in den Fokus. Außerdem wird der Frage nachgegangen, welchen Handlungsrahmen Design als Disziplin hat bzw. was jede*r Einzelne tun kann, um aktiv zu werden und Krisen zu bewältigen.

 

Mit Freude blicken wir zusammenfassend auf einen spannenden und interaktiven Tag zurück.

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Designing the path to future - Den Weg in die Zukunft designen.

Ein Vortrag von Prof. Dr. Antje Boetius

 

Die international renommierte Polar- und Tiefseeforscherin Prof. Dr. Antje Boetius erforscht das Gebiet, das unserem blauen Planeten seinen Namen gibt und in seinen Tiefen noch so unbekannt ist - die Ozeane. Dabei macht sie in ihrem Vortrag immer wieder deutlich, wie wichtig die Meere für das Design der Erde sind, denn unsere Erde ist mehrheitlich Ozean.

Die Ozeane wie auch die Kryosphäre bieten der Mehrzahl verschiedenster Lebensformen ein gutes Habitat. Die Weltmeere fungieren zudem als Puffer für die Klimadynamiken, da sie einen erheblichen Anteil CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und sogar über 90% der Wärme absorbieren. Das Meereis, die Eisschilde und der Permafrost bedecken große Flächen der Polarregionen und strahlen das Sonnenlicht zurück. Boetius beschreibt die Kryophäre als semistabil, welches durch nicht lineare Beschleunigungsmechanismen schneller schmilzt als vorhergesagt. Es geht ihrer Aussage nach in diesem Jahrzehnt vor allem um eine Lösung der Klimakrise. Dies bedarf einer Anerkennung der bestehenden Netzwerke und Kreisläufe auf der Erde in allem menschlichen Handeln. Gleichzeitig ist  eine Anpassung des Menschen an die zunehmenden Klimawandelfolgen unausweichlich.

Die Erde weist im Laufe der Zeit verschiedene Zustände mit mehr oder weniger CO2 auf. Aktuell sind die CO2 Emissionen gefährlich hoch. Boetius erläutert, dass es für dieses menschengemachte fundamentale Ungleichgewicht kein Vorbild in der Natur seit der Entwicklung des Menschen über die letzten zwei Millionen Jahre gibt.

Die CO2 Emissionen durch Nutzung fossiler Brennstoffe steigen stark an seit den 1950 Jahren. Die Krisen dieser Zeitspanne zeigen, dass in jeder für kurze Augenblicke weniger CO2 verbraucht wird, danach gibt es jedoch immer große Aufholeffekte. Die Pandemie hat durch mehrere Lockdowns dabei bisher den größten CO2 Rückgang erzeugt.

Dies zeigt, dass der Klimawandel menschengemacht ist, eine Krise jedoch nicht als Lösungsansatz geeignet ist. Hierfür braucht es geplante und gesteuerte Schritte.

Diesen Ansatz hat Frau Boetius in ihrem Vortrag, in Bezug auf den Ballungsraum Stadt, noch weiter erläutert. Sie machte darauf aufmerksam, dass ein Großteil der Menschen in Küstennähe lebten und daher von steigendem Meeresspiegelanstieg betroffen würden. Auf Hitzewellen und andere Formen von Extremwettern müsse die Planung von Infrastruktur und Städten schon heute Anpassungen vorsehen.  

In Städten leben die Mehrzahl der Menschen - ihr geballter Wohnungsraum müsste mehr Fläche für die Natur bieten: Natur, die der Mensch zur Erholung und Stärkung braucht, was gerade in der Pandemie sehr deutlich spürbar wird. Anstatt diese, für den Menschen und die Umwelt so wichtige Natur jedoch zu schützen, zerstören wir sie und nehmen sie uns selbst weg.

Hier müsste ein Wandel stattfinden. Es müssen mehr Naturplätze in Städten geschaffen und auch in den Wohnungen für Orte der Ruhe und Erholung gesorgt werden.

Was diese Umstrukturierung angeht kritisiert Boetius allerdings, dass hier meist in 20-30 Jahren gedacht wird und keine konkreten Pläne für die nächsten 10 Jahre gemacht werden.

 

“Krisendesign - es geht auch um Geschwindigkeit von Lösungen.”

 

Neben anderen Beispielen für Lösungsansätze hat Frau Boetius den Deichbau genannt, der die Städte und demnach uns Menschen vor dem immer weiter steigenden Meeresspiegel schützt. Dieses Problem ist über Jahre bekannt und doch leben 10% der Menschheit in 100 Meter Entfernung zum Meer und das ohne Deich. Sie können einen Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter schon nicht mehr händeln und müssen umziehen, so Boetius.

Ein weiterer wichtiger Punkt ihres Vortrages waren die immer weiter zunehmenden Temperaturschwankungen. Auch hier muss es schnelle Lösungsansätze geben die Extreme, wie Dürre-Sommer und dem damit verbundenen sinkenden Grundwasserspiegel, entgegenwirken.

Abschließend hat Frau Prof. Dr. Antje Boetius noch einmal ganz deutlich zusammengefasst, wie wichtig es ist, sich “den großen Stellschrauben” zu widmen um etwas zu verändern und hat die regenerative Energie und das Wasser als die wichtigsten Ankerpunkte in Bezug auf zukünftiges Erddesign genannt.

“10 Jahre um die Impulse zu setzen für eine nachhaltige Zukunft, für das richtige Design des Energiesystems, von Mobilität, vom Wohnen -  das ist der einzige Weg einen dauerhaften Ausnahmezustand für die Menschheit zu vermeiden.”

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Krisen erzeugen schwerwiegende individuelle und politische Kontrollverluste mit autoritären Versuchungen gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie.

Ein Vortrag von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer

 

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer, ehemaliger Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld thematisierte in seinem Beitrag eine soziologische Sicht auf Krisen und dessen Folgen. Laut Heitmeyer wurde die Gesellschaft in den letzten Jahren bereits mit verschiedenen Krisentypen konfrontiert, wie beispielsweise 9/11 (2001), die Einführung von Hartz 4 (2005), die Finanzkrise (2009) oder aber die Flüchtlingsbewegung (2015). Diese Krisen betrafen bislang immer unterschiedliche soziale Gruppierungen, traten in zeitlichen Staffelungen auf und zur Bewältigung standen der Gesellschaft diverse Instrumente zur Verfügung. Anders in der Covid-19 Krise, in der es laut Heitmeyer zu einer Außerkraftsetzung der zuvor genannten Charakteristika käme, als auch zu einer Stilllegung der Gesellschaft mit unbekannten Zeithorizonten. Die Pandemie fördere zudem eine leibhaftig erfahrbare Klassengesellschaft zu Tage. Die Verarmung von großen Teilen der Gesellschaft gehe mit riesigen Gewinnen an der Börse einher. “Das Kapital Vertrauen schwindet, autoritäre Versuchungen geraten in den Blick”, so Heitmeyer zu den politischen Konsequenzen. So steige in Krisen vor allem das Autoritäre. Individuelle Kontrollverluste gepaart mit sozialer Desintegration stehen in einem engen Zusammenhang mit Verschwörungsideologien und Verzerrungen von gesellschaftlichen Zuständen. Es entstehe in der Gesellschaft zugleich aber auch ein neuer Sehnsuchtsbegriff der Normalität. Doch welche Normalität kann das sein, wenn die Zustände vor der Krise nicht wiederherstellbar sind und die Mechanismen die bisher galten nicht mehr funktionieren? Daher seien laut Heitmeyer vor allem neue Definitionen von Normalität nötig.

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Zu Beginn des Dialoges zwischen Johannes Bayer, Vorsitzender von Sea Watch e.V. und Dr. Peer Illner, Soziologe und Katastrophenforscher, erhalten wir einen spannenden Einblick in deren unterschiedliche Tätigkeitsbereiche. 

Johannes Bayer ist bei Rettungseinsätzen von Sea Watch e.V. der „Head of Mission“. In dieser Position müsse er die Rettungseinsätze koordinieren, aber auch mit Behörden kommunizieren. Dies habe mit der ursprünglichen Absicht von Sea Watch e.V., nämlich vor Ort Ausschau zu halten und mit Medien zu berichten, nicht mehr viel zu tun. Dennoch macht Bayer deutlich: „Wenn man vor Ort ist, muss man helfen“. 

Dr. Peer Illners Schwerpunkt liegt auf der theoretischen Auseinandersetzung mit der Katastrophenhilfe in den Vereinigten Staaten, welche ebenfalls in seinem Buch „Disasters and Social Reproduction“ thematisiert wird. Bis heute gäbe es besonders in Amerika immer mehr Bürgerinitiativen, die sich verstärkt mit dem Katastrophenschutz beschäftigen und gleichzeitig ziehe der Staat sich immer weiter zurück. Diese selbstorganisierte Katastrophenhilfe sei laut Illner reproduktive Arbeit, also nicht entlohnte Arbeit. Außerdem sei das Problem von selbstorganisierten Bürgerinitiativen in der Katastrophenhilfe oft, dass sie im Prinzip den Staatsrückzug legitimieren.

Anders als bei Naturkatastrophen, sei bei der Seenotrettung die staatliche Verantwortlichkeit ganz klar zugeordnet. Bayer erklärt, dass die gesamten Weltmeere in sogenannte Such- und Rettungszonen aufgeteilt seien, mit dem klaren Auftrag zu suchen und Rettungen und Bergungen durchzuführen. Es gäbe keine Zone, ohne einen verantwortlichen Staat und dennoch würden diese Staatsaufgaben dort zum großen Teil nicht erfüllt. Deshalb bezeichnet Bayer die Arbeit von Sea Watch e.V. nicht nur als humanitär, sondern auch als politisch. Die Verantwortlichkeit der Lösungsfindung sehe der Verein ganz klar bei den europäischen Staaten und es sei wichtig, den politischen Druck immer klar aufrecht zu halten: „Unsere Arbeit ist natürlich ein riesen Dorn im Auge der staatlichen Institutionen, weil wir vor Ort sind, das Geschehen zeigen und auch zeigen, dass Hilfe möglich ist. Der Staat muss sich dann fragen: Warum gibt es dort keine staatliche Seenotrettung?“.

Wäre es nicht also sinnvoll, dem Staat die vollkommene Verantwortung für Krisen Lösungen zu geben? Nach Dr. Illner solle es keine Trennung von Staat und Bürgerinitiativen geben. Es sei sogar gut, dass die Zivilgesellschaft sich mit radikalen Initiativen einmische, denn diese zeigen die strukturellen Fehlleistungen des Staates auf. „Organisationen wie Sea Watch e.V. zeigen, dass diese Vernachlässigung des Staates sehr strukturell ist und dass der Staat keine wohlwollende Identität ist, sondern alles tut, um nicht in diese Verantwortlichkeiten zu geraten“, so Illner. 

Auch Bayer schreibt der Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle zu und sehe sie sogar in der Pflicht zu handeln und Lösungen zu fordern, wenn er Staat versage. Sea Watch e.V. sei nicht dafür verantwortlich, die Ursachen des Problems zu lösen, sondern die Verantwortlichen an ihre Pflichten zu erinnern. Bayer macht klar: „Unsere Aufgabe ist da auch wirklich den Finger in die Wunde zu legen und zu sagen: Egal was die Gründe sind oder egal warum sowas passiert, es kann nicht sein, dass an der europäischen Außengrenze Menschen sterben, weil wir das Gefühl haben, dass wir denen nicht helfen können.“

Können also auch wir zur Verbesserung der Krise beitragen?

Dr. Peer Illner habe Hoffnung, wenn er Nachrichten von AktivistInnen höre, die freigesprochen würden und Recht bekämen, wie z.B. Carola Rackete. Dies zeige, dass wir durch Direct Action die Möglichkeit haben, uns über existierende Verhältnisse hinweg zu setzen. Auch Johannes Bayer schließt sich dieser Ansicht an und beendet den Dialog mit den Worten: „Ich glaube das Direct Action und Aktivismus etwas ist, mit dem man nicht jede Krise lösen kann, absolut nicht, aber man kann zumindest den Diskurs schärfen und die Regierung sehr stark daran erinnern, dass hier eine Aufgabe ist, zu der es eine klare Verantwortung gibt. Und das ist einfach wichtig, dass dies immer wieder passiert und sich da keiner irgendwie ausruhen kann, während solche Krisen in der Welt existieren.“

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We couldn’t care more

Ein Vortrag von Prof. Dr. Simon Dickel
mit Sofia Strunden, Jenny Fawson, Anneke Niehues und Moritz Aumann

 

Der Schwerpunkt der Arbeit von Prof. Dr. Simon Dickel an der Folkwang Universität der Künste sind kulturelle und soziale Betrachtungen von Geschlecht, Sexualität, Rasse und Kategorien der Intersektionalität und Phänomenologie. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie wir die Begriffe “Krise” und “Normalität” gesellschaftlich definieren.

Prof. Dickel und seine Studierenden sehen den als Normalität bezeichneten Zustand, aus dem die Krisen hervorgehen, als eigentliche Krise. Sie beziehen sich dabei auf Elke Krasny's Essay In-Sorge bleiben, die diese Normalität nur als scheinbaren Normalzustand anerkennt, da sie im Kontext ihrer Unzulänglichkeiten Krisen, wie die CoVid-19 Pandemie, ermöglicht hat:

Normalität ist Ausgangspunkt aller Krisen
Der vermeintliche Normalzustand ermöglicht auch strukturelle Gewaltformen, wie z.B. disparate Zugangsmöglichkeiten zu Ressourcen (z.B. Geld, Lebensumstände). Ressourcen, die individuell vor Krisen schützen würden. Dieser gesellschaftliche Unterschied ist laut Jürgen Manemann einer mangelnden Wahrnehmung für Verwundbarkeit unterstellt. Das Coronavirus bietet dabei das Beispiel für eine allgemein gleichbedeutende Bedrohung, die nicht allgemein gleichbedeutend abgewehrt wird und dadurch die Krise überhaupt auslöst. Die Normalität, die diese Unterschiede ermöglicht, wird von den Vortragenden als eigentliche Krise identifiziert.
Im zweiten Teil ihres Vortrages gehen die Studierenden auf Aspekte des Kommunikationsdesigns ein, die bei der Bekämpfung von gesundheitlichen Krisen eine Rolle spielen:

Kommunikationsdesign in der Krise
Das Beispiel der AIDS Epidemie der 1980er Jahre unterscheidet sich im Grad der politischen Aufmerksamkeit vom Coronavirus erheblich. Aufgrund einer noch stärkeren Ungleichheit im Auftritt und in der Behandlung der Krankheit, erfuhr die Bekämpfung von HIV eine weitaus geringere Dringlichkeit aus der breiten Bevölkerung. Daraus entwickelte sich eine starke gestalterische Sprache, die für Aufmerksamkeit eintrat.

Die Studierenden erklären am Plakatbeispiel des Künstlerkollektivs Gran Fury namens Silence=Death,  wie Bildmotive ambivalente und unvorhersehbare Reaktionen hervorrufen und wie dies vermieden werden kann, um eine Botschaft dennoch effektiv zu transportieren. Sie erläutern, wie die symbolische Wirkung eines Motivs wirkt, indem es die Aufmerksamkeit des Betrachters mit steigendem Interesse zu moderieren vermag, bevor es letztlich eine eindeutige Nachricht vermittelt. Wie Motive vermeintliche Botschaften tragen können, zeigt der Vortrag im dritten Teil, bei dem es um Rollenverständnisse und Sorgearbeit im Bezug zum Geschlecht geht. Das Plakatbeispiel des britischen National Health Service, in dem das Leben im „klassischen Zuhause” vermeintlich als weibliche Domäne charakterisiert wurde,  löste entlarvende bis empörte Reaktionen aus.

Was bedeutet Arbeit?
Tatsächlich wird die Realität davon auf perfide Weise unterstrichen. Dies besagt die Beobachtung, dass 60% der systemrelevanten Berufe von Frauen besetzt werden, während aufgrund des Gender-Pay-Gaps (der ungleich entlohnten Arbeit von Geschlechtern) die traditionellen Geschlechterrollen verstärkt werden. Denn es sind oft die Partnerinnen, die Zuhause bleiben und gesellschaftlich verborgene und unbezahlte Leistungen in der Sorgearbeit verrichten (bspw. die Pflege und Betreuung von Familienmitgliedern).

Simon Dickel und seine Studierenden verbinden die ersten zwei Thesen des Vortrags (unsichtbare Ungleichheiten und dessen offenbarende Diskursformen) und entwickeln daraus einen Appell zum Paradigmenwechsel: Vom bestehenden System, welches strukturell von traditionellen Rollenverständnissen auf Unterdrückung und Ausbeutung seiner schwächsten Elemente fußt, hin zum Praktizieren des Prinzips des „in-Sorge-bleibens“ (basierend auf den Aussagen der Historikerin und Feministin Donna Haraway). Nach diesem Prinzip sollen jene typischen Reaktionen auf eine Krisensituation vermieden werden, welche die Krise zu Lasten der schwächsten Teile der Gesellschaft unter einem anderen Namen weiterführen oder gar verstärken.

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Designen für die Klimakrise – Welche Rolle spielen DesignerInnen und welchen Einfluss haben sie?

Ein Vortrag von Raz Godelnik

 

Corporate Design Strategy bedeutet für Godelnik ein bestimmtes langfristiges Ziel mit einem Plan zu dessen Umsetzung (Theory of Change) zu verbinden:

Gestalter basieren Entscheidungen, unter Beachtung von reellen Projektionen der Zukunft, auf langfristigen Zielen. Godelnik bezieht sich dabei auf die Abhandlung ,Envisioning Real Utopias' nach Erik Olin Wright. 

Er erklärt, dass sich geerdeter Realismus und optimistische Projektionen für eine überzeugenden Strategie nicht voneinander ausschließen sollten. Dabei ist ihm wichtig, die Funktionen, welche übergeordnete gesellschaftliche Probleme lösen, zu berücksichtigen.

Genauso wichtig wie die langfristige Zielsetzung ist das ständige Besinnen auf die Gegenwärtige Situation: die Besinnung auf konventionelle Unternehmensstrukturen und Zielsetzungen, gestalterische Prioritäten beim Produkt sowie das derzeitige Verständnis von Nachhaltigkeit sind hierbei essentiell. Er betrachtet dabei kulturelle, historische und traditionelle sowie Verhaltens-psychologische Elemente die eine Gesellschaft beeinflussen als Teil des Quellcodes, der zu einem Unternehmen und schlussendlich zu einem Produkt führt.
Godelnik's entwickelt daraus nun eine Theorie der Veränderbarkeit als Maßstab für Fortschritt. Diese beschreibt, wie man von der Gegenwart aus zu einem langfristig gesetzten Ziel kommen könnte. Seine Theorie der Veränderbarkeit umschreibt er mit der glaubhaften Kommunikation des Wegs. Er begreift den Strategie-Designer als einen „narrative warrior“, einem Verfechter plausibler Schilderungen. Er nennt Extinction Rebellion und Fridays for Future als Beispiel für das erfolgreiche Etablieren von Frames, Sprache und akzeptierten Vorstellungen über den Klimawandel. Oft ist das Hauptziel durch das Strapazieren von Akzeptanz-fähigen Ideen und Vorstellungen den Spielraum von Unternehmen zu verschieben, was er “Overtone Window” nennt. Also diesen auf dem Spektrum zwischen Undenkbaren und Angewandten für eine große Gruppe von Menschen neu zu verorten.

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Erzählen, improvisieren, spekulieren – Kunst und Design als Gegenstimme

Ein Vortrag von Klaus Hesse

 

Klaus Hesse ist ein deutscher Grafikdesigner, gemeinsam mit Christine Hesse ist er Inhaber von Hesse Design und seit 1999 Professor für konzeptionelle Gestaltung an der HfG Offenbach.

Krisen ohne Ende, in einem Zeitstrahl der letzten 60 Jahre zeigt Hesse, dass Krisen Teil unseres globalen Alltags sind.

"Die meisten Krisen schleichen sich an und viele wären auch vorhersehbar, aber unsere Reaktion als Gesellschaft hat immer etwas zeitlupen-haftes"

Es geht darum die richtige Balance zwischen der Gestaltung der Zukunft und der Gegenwart zu finden, um Krisen bereits in der Entstehung begegnen zu können und auch zu reagieren, wenn die Auswirkungen uns nicht direkt zu betreffen scheinen.

Was kann Design also tun, um bei der Bewältigung einer Krise zu helfen?

DesignerInnen können Produkte gestalten, um Lebenssituationen direkt und oft temporär zu verbessern, Services entwickeln, die Grundlagen für Veränderung schaffen und Narrative erarbeiten, die das Bewusstsein für eine Krise beeinflussen und kommunizieren.

Narratives Design hat laut Hesse aber zwei Seiten. Es kann für oder gegen die Menschen gerichtet sein. Für eine gesamtgesellschaftliche Verbesserung der Lebensbedingungen oder für die Vorteile von wenigen, für Information oder Desinformation, für Freiheit oder Kontrolle.

"Kreativität ist letztendlich das Werkzeug einer Geisteshaltung"

In diesem Kontext stellt Hesse das Projekt "making crisis visible" vor, welches unter seiner Leitung gemeinsam mit Felix Kosok entstanden ist. Bei dem Projekt handelt es sich um ein interdisziplinäres Modell, welches Design, Kunst, Philosophie und Wissenschaft miteinander verbindet.

Partner der HFG Offenbach ist der Leibnitzer Forschungsverbund »Krisen einer globalisierten Welt«. Ziel des Projekts ist es in einen Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten und Krisen sichtbar, fühlbar und erlebbar zu machen.

Die Frage, ob Design und Kunst nun die Welt verbessern können, beantwortet Hesse also mit "jein".

DesignerInnen können die Welt mitverändern. Sie können Aussagen verdichten, Produkte gestalten, die die Lebenssituation Vieler positiv beeinflussen, zu Auseinandersetzungen motivieren und durch eine kreative und konstruktive Grundhaltung zur Annäherung an Probleme beitragen.

Ohne einen Kontext zur Wissenschaft, Gesellschaft und Politik fehlt dem Design allerdings der Handlungsspielraum um positiv Einfluss zu nehmen.

 

Was Design aber immer sein kann, ist eine Gegenstimme.

 

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Zusammengefasst entstehen im Anthropozän Krisen hauptsächlich durch die stärkste geologische Kraft, dem Menschen. Sie bedrohen aber nicht nur unser Dasein, sondern auch andere Lebewesen, die von den Gegebenheiten unseres Lebensraumes abhängig sind. Wir müssen uns daher über unsere Stellung im System Erde und die damit einhergehende Verantwortung zunächst als Mensch klar werden.

Ein Schritt zurück in die “Normalität” gibt es nicht, direkter, die Krise ist die sich stetig verändernde Normalität. Wenn wir diese Inexistenz akzeptieren, wird es uns leichter fallen, Möglichkeiten zu erkennen unsere Gesellschaft in eine positive Richtung mitzuentwickeln. Wir müssen nur bereit sein, daran Teil zu haben.

Teil haben kann Design jedenfalls gut, wie im Verlauf der Veranstaltung gezeigt wurde: Design kann aufklären, leiten, innovieren.

Egal, ob als Kommunikationsmittel, oder als strategische Grundlage, müssen wir darauf achten, unsere Arbeit als GestalterInnen sinnvoll für Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit einzusetzen. Design-Aktivismus bietet die Möglichkeit Krisen nicht weg-, sondern umzugestalten. Es liegt demnach auch in unserer Pflicht, Bestehendes zu akzeptieren, zu analysieren, zu adaptieren und mit den Gegebenheiten zu arbeiten um ein Umdenken in unserer Gesellschaft zu katalysieren.

 

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten, Referenten, Präsentierenden und Teilnehmenden.

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